Tagebuch einer Berliner Busfahrerin                                       

Inhalt

 

Die Autorin


Antje Boesler, Jahrgang 1966, beendete 1987 ihre Lehre als Köchin und im Mai 1989 ihre Kar-riere in diesem Metier.
Auf dem zweiten Bildungsweg erlernte sie im Juni 1989 den Beruf der Busfahrerin bei der BVB. 1992 wurde sie von der BVG übernommen und arbeitet seit 2000 für das Tochterunternehmen BT Berlin Trans-port. Dort wurde sie im selben Jahr noch zur U-Bahn-Fahrerin Großprofil ausgebildet.
Sie besitzt eine Lizenz, die Benutzer des ÖPNV legal um die Ecke zu bringen.

Tagebuch einer Berliner Busfahrerin


Einleitung
»Könnten Sie mir den Fahrplan zitieren und dabei erklären, warum Sie zu spät sind?«
»Warum und weshalb ist der Bus vor Ihnen ausgefallen?« Diese und viele andere Fragen stellen mir Fahrgäste seit siebenundzwanzig Jah-ren tagaus, tagein. Meine authentischen Ge-schichten geben die Antwort auf fast alle Fragen. Ist es der Verkehr? Sind es die Fahrgäste? Oder trifft die Schuld das Fahrpersonal? Es berichtet von seltsamen Erlebnissen mit noch seltsameren Fahrgästen. Auch die Polizei mit ihren Einsätzen kommt zum Zuge. Was ein Fahrgast schon immer wissen wollte, wird er hier erfahren.
Ich hielt es nicht für zwingend erforderlich, die Geschichten nach Jahreszahlen zu ordnen.

Meine ersten Handschellen


Sie waren nicht mit gelbem oder pinkfarbe-nem Plüsch bestückt. Im Oktober 2003 hatte ich Spätschicht und versah meinen Dienst auf der Linie M48. Beim Übernehmen des Doppelde-ckers verfluchte mein Kollege den Bus und nann-te ihn eine Scheißkarre. Die Liste seiner persön-lichen Bemängelungen, den Bus betreffend, war lang, aber ohne Gewicht. Ganze zwei Fahrten hatte ich schon hinter mich gebracht. Der Bus lief fehlerfrei und ich kam mit ihm klar. Nach zwei-undzwanzig Uhr startete ich mit zwei Fahrgästen in die dritte, und wie sich herausstellen sollte zugleich letzte Runde. Ich war gerade vier Halte-stellen weit gekommen, als der Omnibus Bock-sprünge vollführte. Meine weibliche Schnelldi-agnose: Getriebeschaden. Sekunden später ging der Motor eigenmächtig aus. Auch meine nächste Überlegung, ob der Tank leer sein könnte, er-wies sich als falsch. Laut Instrumentenanzeige war der halb voll. Wenigstens das Funkgerät funktionierte, also konnte ich die Zentrale über mein Problem informieren. Diese nun wies mich an, den Bus von außen mittels Hauptschalter, der die Batterien vom Bordnetz trennt, strom­los zu schalten. Ich war an einer stockdunklen Stelle liegen geblieben. Einsatz für meine nigelnagel-neue LED Taschenlampe. Ich stieg aus, ließ die Schlüssel im Zündschloss stecken und die erste Tür offen. Meine beiden Fahrgäste prophezeiten mir, dass es bestimmt länger dauern würde, weshalb sie die zwei Haltestellen bis zu ihrem Ziel laufen wollten.
Ich schaltete den Bus aus, alle Instrumente wurden heruntergefahren und die Innenbeleuch-tung erlosch. Ungeduldig, weil ich die verlorene Zeit nie wieder aufholen könnte, wartete ich die obligatorischen fünf Minuten ab, dann schaltete ich den Bus wieder ein. Sämtlicher technischer Krimskrams fuhr wieder hoch, die Instrumente erwachten zum Leben, die Beleuchtung schaltete sich ein und die Türen schlossen sich. »Fein«, dachte ich und wollte nun wieder in den Bus, aber, nichts da, die Türen blieben verschlossen. Diese muss man nämlich mit dem Schlüssel sepa-rat öffnen.
»Apropos Schlüssel! Wo war der eigentlich?« Nachdem ich, wie damals bei Mutti, all meine Taschen geleert hatte und er nicht zum Vor-schein kam, ahnte ich Schlimmes. »Bitte nicht. Habe ich ihn etwa im Zündschloss stecken las-sen?« Ich presste mein Gesicht an die Ein-stiegstür und – Bingo –, der Schlüssel steckte. Dieser Zündschlüssel hätte überall sein dürfen, aber nicht im Zündschloss. Der Versuch, meinen Arm durch die Türgummis zu drücken, um an den Nothebel zu gelangen, scheiterte an der Un-nachgiebigkeit des Gummis. Die Türen blieben angepresst, es gelang mir nicht, sie allein aufzu-hebeln. Telefonieren ging auch nicht, da mein persönliches Hab und Gut im Bus lag. Mir wurde bewusst, dass innerhalb der nächsten zwanzig Minuten kein Bus mehr vorbeikommen würde, dessen Fahrer mir hätte helfen können. Ich um-rundete meinen Bus in der Hoffnung auf eine Idee zu kommen, wie ich doch noch hineingelan-gen könnte. Ein übermütiger Gedanke beschlich mich. Das absenkbare Fahrerseitenfenster. Das hatte ich ein Stück offengelassen. Mein Plan sah vor, mich an jene Scheibe zu hängen, in der Hoffnung, dass diese meinen sechsundsechzig Kilo nachgab. Das Wunder geschah und ich freu-te mich wie Bolle über meinen Teilerfolg. Die nächste Hürde hatte es in sich. Von der Straße aus musste ich meinen Körper, ohne Hilfe, mit der Kraft meiner Arme, einhundertvierzig Zen-timeter hoch auf die Unterkante des Fensters drücken.
Ohne tatkräftige Unterstützung schaffe ich nicht einmal einen Liegestütz. Ich bin nicht un-sportlich, ich eigne mich eben nur nicht für Kraftsport. Dafür kann ich sehr schnell rennen.
Nach drei schmerzhaften Fehlschlägen machte ich bei der Eroberung meines Omnibusses Fort-schritte.
Jetzt kam die heiße Phase. Meine Hüfte auf die Fensterkante legen und den Oberkörper nach vorne, durch das für solche Aktionen viel zu kleine Busfenster, beugen. Die linke Hand, auf der mein Körper noch lag, unter diesem hervor-ziehen, um dann das Lenkrad zu umklammern. Dieselbe Prozedur mit der rechten Hand, um nach dem Sitz zu greifen. So zog ich mich Stück für Stück in den Bus. Ausgesprochen schmerz-haft. Ganz unerwartet quietschten hinter mir Rei-fen. Aus dem linken Augenwinkel sah ich den Kotflügel eines silberfarbenen Autos, das schräg zum Bus stehen blieb. Dann wurde die Beifahrer-tür aufgestoßen und ich hörte das Wort »Polizei« laut und deutlich. Der Rufer seinerseits hörte meine Worte: »Einen Moment bitte«, nicht. Ich hing wie ein Mehlsack im Fenster meines Busses, was sollte ich da tun? Vielleicht die Hände he-ben? Ich versuchte mein Ziel, deutlich schneller als geplant, umzusetzen.
Meine Bemühungen zwangen den Zivilbeamten zum Handeln. Er packte mich am Hosenboden und zog mich wieder aus dem Fenster. Freundli-cherweise griff er mir noch, wie bei einem Ka-ninchen, ins Genick, damit mein Gesicht nicht auch noch über die Unterkante des Fensters ge-schleift wurde.
Mit »So Freundchen, dich haben wir«, stellte er mich auf dem Asphalt ab, das Gesicht zum Bus gewandt. In der Zwischenzeit hatten schon vier Funkwagen, die allesamt mit Sirene und Blau-licht angefahren kamen, sowie zwei weitere Zi-vilfahrzeuge, meinen Bus umstellt. Es sollten nicht die letzten sein. Blaulicht soweit das Auge reichte. Ich hasse diese Technopartybeleuch-tung, denn das flackernde Licht macht einen blind und irgendwie Gaga. Vermutlich ging es dem einen oder anderen Polizisten ebenso, denn dem Beamten fiel nicht auf, dass der Ertappte eine Frau war. Trotz des Lärms hatte ich seine Aufforderung, meine Beine auseinander zu ma-chen, verstanden. Verflixt und zugenäht, er hörte einfach nicht, als ich ihm sagte, dass ich die Bus-fahrerin bin. Dem etwas Ehrgeizigen ging es nicht schnell genug und so half er, meine Beine betreffend, nach. Wenn ich an diesem Abend meine Gucci-Schühchen getra­gen hätte, wäre mir spätestens jetzt ein: »Eh, bist du jetzt völlig bescheuert?« rausgerutscht.
Er hatte aber wirklich Glück, ich trug Deich-mann. Unverzüglich ging er zum Abtasten über. Ich versuchte, mir seinen Gesichtsausdruck vor-zustellen, wenn er endlich begriff, dass er eine Frau zwischen seinen Fingern hatte. Er tastete sich von den Händen abwärts, über und unter den Armen und von diesen dann…!! Er hielt inne und schrie so laut: »Scheiße«, dass alle ihn an-starrten. Dann riss er seine Hände nach hinten und hielt sie hoch. Das Ertasten einer Frau hatte ihn härter getroffen, als ich befürchtete...............